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Porträt Judith Sangeeta Keller

Der Wunsch, in Indien zu leben, sass seit der Kindheit tief. «Als kleiner Knirps hörte ich, dass die Menschen dort die Kühe anbeten, statt sie zu essen. Das hat mich beeindruckt. Da wollte ich hin.» Die Eltern musste Judith Keller allerdings zuerst mit einer Rebellion, die in einem konsequenten Lernstreik gipfelte, davon überzeugen, dass sie nun doch nicht Lehrerin werden wollte. Stattdessen bereitete eine Ausbildung zur Krankenschwester sie auf ihre künftige Aufgabe vor. 1972 reiste sie ins Land ihrer Träume, um im Orden der Kleinen Schwestern unter den Ärmsten zu leben. In Varanasi, der heiligen Stadt am Ufer des Ganges, kümmerte sie sich um Leprakranke. Wenn sie heute erzählt, wie sich die Schwestern damals die Zähne an ihrer Eigenwilligkeit ausbissen, lacht sie:. «Es lag von klein auf in meinem Wesen, den eigenen Weg zu gehen.»

Längst ist Varanasi Judith Kellers Heimat geworden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, behinderten (oder wie sie lieber sagt: anders begabten) Kindern und Jugendlichen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Anfangs waren es vier Kinder, denen sie Schulbildung, Therapie und medizinische Versorgung anbieten konnte. Heute sind es fast 400, die im KIRAN Village, zwölf Kilometer ausserhalb Varanasis, zur Schule gehen. Ein ganzes Dorf ist nahe dem Gangesufer unter ihrer Leitung entstanden.

Mit ihrem unermüdlichen Engagement, ihrem charismatischen Wesen und ihrer Authen­tizität ist es der St. Gallerin gelungen, die Menschen aufzurütteln. Sie hat das Bewusst­sein in der indischen Gesellschaft gestärkt, dass die Integration behinderter Menschen mit all ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen der einzig richtige Weg ist. «Ein Abenteuer des Vertrauens» sei das KIRAN für sie. Etwas, das auch immer wieder unvorhergesehene Freu­den und Schwierigkeiten mit sich bringt. Am glücklichsten machen sie die Momente, in denen sie die Freude und den Stolz der Eltern spürt, wenn sie sehen, dass ihr Kind Fort­schritte macht.